Eine Tierart, die zu einer sehr alten Familie der Säugetiere zählt, ist Tier des Jahres 2009 geworden: der Igel. Die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild, Organisation zur Erhaltung der freilebenden Tierwelt, verlieh dem Stachelritter diesen Titel auf ihrer diesjährigen Mitgliederversammlung im Oktober 2008. Ericaneus europaeus, wie der Igel in der zoologischen Wissenschaft heißt, ist ein Allerweltstier und kommt in allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis vor. In „Grzimeks Tierleben“ werden zwei Unterfamilien der Igel mit neun Gattungsn und zahlreichen Arten genannt.
Igel kommen als bewundertes und verehrtes Tier schon in alten Religionen vor. Bereits vor 7000 Jahren gab es im alten Ägypten bildliche Darstellungen des Igels, die erkennen lassen, dass er nicht allein als Schlangentöter hohes Ansehen genoss, sondern auch als eine Art heiligesTier galt. Das Stacheltier ist bis heute Mittelpunkt in zahlreichen Sagen, Legenden und Märchen, etwa dem Wettlauf zwischen Hase und Igel. Sogar auf der Bestsellerliste des Herbstes 2008 ist es zu finden, mit dem Buch „Die Eleganz des Igels“.
Der Igel ist ein Einzelgänger und vorwiegend nachtaktives Tier. Sobald Dauerfrost oder Schnee das Land überziehen und die mittlere Lufttemperatur nur noch acht bis zehn Grad beträgt, sucht er sich einen geeigneten Platz für den Winterschlaf, wühlt sich ein und rollt sich zu einer Kugel zusammen. So schläft er bis März, April. Dabei sind alle Lebensvorgänge stark verlangsamt, er atmet nur noch fünf bis acht Mal in der Minute, sein Herz schlägt etwa zwanzig Mal. Wenn der Stachelige aber auch bei kalten Temperaturen noch herumläuft, handelt es sich entweder um ein krankes oder verletztes Tier, doch gelegentlich, wenn auch selten um einen verwaisten Jungigel. Dann, aber auch nur dann braucht er menschliche Hilfe. Sie gelingt am besten, wenn ein Tierarzt zu Rate gezogen wird oder wenn sich in der Nähe eine Igelstation befindet, die Auskunft gibt, wie mit einem Igel umzugehen ist. Doch allzu oft versuchen Menschen sich allein als Igelretter, und in vielen Fällen begehen sie schwerwiegende Fehler, die ihrem Findling das Leben kosten können.
Denn Igel sind keine Haustiere und erst recht kein Kinderspielzeug. Sie vertragen keine Abfälle vom Esstisch, Gemüse bekommt ihnen ebensowenig wie Obst – was der Römer Plinius noch nicht wusste, als er einst schrieb, Igel würden sich auf Fallobst wälzen und Äpfel mit ihren Stacheln aufspießen, um sie zum Futtern nach Hause zu tragen. Dagegen ist Katzen- oder Hundenahrung aus Dosen durchaus geeignete Igelnahrung. Und noch ein oft gemachter Fehler: einem Igel Milch zu geben. Er verträgt sie nicht, Wasser ist für ihn besser.
Wenn jedoch ein Igel ins Haus gekommen ist und die rechte menschliche Pflege erhalten hat, muss er wieder ausgewildert werden. Die richtige Zeit hierfür ist das Frühjahr. Dann sind Bäume und Sträucher und ebenso die Hecken grün und bieten guten Schutz und Versteckmöglichkeiten, außerdem sind auch die Nahrungstiere des Igels vorhanden: Käfer, Raupen, Würmer, Schnecken, viele andere Kleintiere. Doch auch größere Tiere werden seine Beute, etwa Frösche und Kröten, Echsen und Schlangen, die er totschüttelt. Der beste Platz, um den kurzweiligen stacheligen Hausgenossen in die Freiheit zu entlassen, ist der Ort, wo der Igel gefunden wurde. Denn das ist fast immer ein geeigneter Lebensraum für das Tier, das auf guten Unterschlupf genauso angewiesen ist wie auf die richtige Nahrung.
Denn natürlichen Schutz braucht der häufig als „Swinegel“ Beschimpfte trotz der 6000 bis 8000 Stacheln, die ihn vor Schaden bewahren. Natürliche Feinde hat er wenige, lediglich Greifvögel und große Eulen wie der Uhu sind in der Lage, seinen Panzer aufzubrechen. Sein größter „Feind“ ist, wenn auch ohne Absicht, der Mensch mit seiner Landwirtschaft und Technik. Allzu oft geht der Rasenmäher auch unter Sträucher und Hecken und verstümmelt einen schlafenden Igel. Laubsauger in den Städten setzen dem Igel zu und nehmen ihm die Nahrung, weil sie zahllose Kleintiere töten. Auch gibt es immer noch Pestizide und Leute, die Katzen- oder Hundehasser sind und vergiftete Köder auslegen. Wiesen müssen gemäht werden, doch dann haben Igel keine Deckung mehr und können sich nicht verbergen. Ebenso sterben sie mitunter durch Brauchtumsfeuer, für die schon lange Zeit vorher Äste und Reisighaufen aufgeschichtet werden, ideale Plätze für die Stacheligen, dort ein Versteck zu finden.
Doch das Schlimmste für den Igel ist das Auto. Viele Tausende von Igeln werden alljährlich überfahren. Eine in Bayern 1957 durchgeführte Untersuchung ergab, dass in den Monaten Mai und Juni auf einer 75 km langen Autobahnstrecke an die hundert Igel getötet wurden – beim seitdem stark angestiegenen Verkehr wäre diese Zahl heute wesentlich höher. Und in Dänemark wurde ermittelt, dass auf 1000 km Fernstraßen in einem Jahr 9345 Igel totgefahren wurden.
Sobald der Igel aus dem Winterschlaf aufwacht, ist für ihn die Zeit gekommen, für Nachwuchs zu sorgen. Bis zum August bemüht er sich, Weibchen zu finden, mit denen er sich auf komplizierte Weise paaren kann, was oft erst nach Stunden gelingt. Ist es dann aber geschehen, bringt die Igelmutter nach einer Tragezeit von etwa sechs Wochen bis zu sieben Junge zur Welt. In der dritten Woche ihres Daseins öffnen sich bei den Igelkindern Augen und Ohren und dann haben sie auch die vielen Stacheln, die sie zu ihrem Schutz bauchen. Immer wieder einmal kommt es auch vor, dass die Igelin zwei Mal im Jahr Nachwuchs hat.
Igel sind nahezu überall zu finden, wo ihnen ein Lebensraum Nahrung und Schutz bietet. Nur feuchtes Gelände meiden sie ebenso wie Nadelwälder, die kein Unterholz haben. Doch manches Mal wollen sie auch hoch hinaus und sind selbst in in 2000 bis 3000 Meter Höhe noch anzutreffen.Einem Tier, das wegen seines Aussehens und seiner interessanten Lebensweise schon immer Interesse bei den Menschen fand und Verehrung genoss, wurde zwangsläufig mancherlei Kurioses angedichtet. So etwa, dass die Stacheligen auf Bäume kletterten und Früchte hinabwürfen, auch dass sie ruhenden Kühen Milch aus dem Euter saugten, und schließlich wurden sie auch noch verdächtigt, Maul- und Klauenseuche zu übertragen. Was ebensowenig stimmt wie die Behauptung von Hühnerhaltern, der Igel sei scharf auf Hühnereier, die er mit den Zähnen packe und forttrüge. Tatsächlich aber kann unser einheimischer Igel seinen Mund gar nicht so weit aufbringen, dass er ein Hühnerei packen und festhalten könnte.
Die Vermenschlichung des Igels wie auch vieler anderer Tiere ist unsinnig und tut ihm nicht gut. Dagegen braucht er unseren Schutz in Freiheit und ebenso die Hilfe von Organisationen wie etwa „Pro Igel“ und Igelstationen, die alljährlich Hunderte von Igeln betreuen. Das Tier der Märchen und Fabeln will in Ruhe galassen werden, ganz besonders, wenn es dem Menschen begegnet. Warum nicht auch einmal für ein so kleines Tier langsamer fahren oder bremsen – es ist ein Geschöpf im Riesenreich der Natur wie wir selbst.