Der Apollofalter

Wozu ist ein Schmetterling gut? Eine törichte Frage, so scheint es, ebenso dumm, als ob nach dem Wert des Kölner Doms oder der Niagara-Fälle gefragt würde. Der Insektenforscher Howard E. Evans aber gab folgende Antworten: Für den Bauern, sagt er, sei der Schmetterling eine schädliche Raupe und daher am besten tot, für den Entomologen etwas für Liebhaber und Sammler, für den Dichter ein Stück Regenbogen oder ein Flüstern der Ewigkeit und für den Geschäftsmann in der Stadt überhaupt nichts. Die zunehmende Hinwendung von immer mehr Menschen vor allem der Städter zum Lebendigen und hier besonders zum Tier zeigt sich deutlich an dem starken Interesse, das gerade die bunte Welt der Falter findet.

Und nicht erst seit heute.Schon immer faszinierten die dahingaukelnden Farbtupfer über Wiesen und am Waldrand den Menschen. „Ich danke euch, meine Meister“, sagte Buddha, „von euch habe ich mehr gelernt als aus den Büchern der Brahmanen“. Schumann und Offenbach machten Schmetterlings-Musik, Hermann Hesse und viele seiner Kollegen fanden innige Worte der Zuneigung für sie, und es war auch ein Dichter, der die Frage stellte, ob der Schmetterling einst den Menschen fangen und unter Glas aufspießen werde – und dann die Antwort gab, die Vorstellung sei absurd: „So schön ist der Mensch nicht!“

Apollofalter

All dies könnte Grund dafür sein, daß die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD den Apollo-Falter zum Tier des Jahres 1995 auswählte. Doch ihr ging es bei dieser Benennung um noch wesentlich mehr: vor allem um die Rolle, die besonders Schmetterlinge als Bio-Indikatoren, als Anzeiger für Umweltbeeinträchtigung, spielen. Denn der Apollo ist ja nicht nur der schönste, gefährdetste, in großer Höhe lebende und auch einer der größten Tagfalter. Mit seiner Wahl soll auch auf die Bedrohung seines Lebensraumes aufmerksam gemacht werden – und dies betrifft noch zahlreiche weitere Tierarten.

Der Schmetterling mit der auffälligen Flügelzeichnung und fast 10 cm Spannweite lebt im Gebirge, die Unterart Alpen-Apollo fliegt noch über 3000 m. Die Überflutung der Berge durch Touristen und Abertausende von Skipisten – nirgendwo im Alpenraum gibt es so viele Bergbahnen und Lifte wie in Bayern – stören den Falter und zerstören seine Nahrungspflanzen. Sein künftiges Schicksal kann Aufschluß darüber geben, ob auch Kleintiere der höchsten Gefährdungsstufen in den Roten Listen eine Überlebenschance ins nächste Jahrtausend haben.

Noch ein weiterer Gesichtspunkt trug mit dazu bei, einen Falter zum Jahres-Tier zu wählen. Gemeint ist das Instrument der Flächenstillegung, das auch ein wichtiges Mittel sein kann, den Kleintieren in unserer Landschaft zu helfen. Hierbei ist es wichtig, möglichst große Teile der stillgelegten Flächen nur alle zwei Jahre zu mähen. Viele Falterarten legen mit ihrer Überwinterungs-Population die Eier erst im Herbst an die Wirtspflanzen – durch das Mähen würden sie vernichtet. Wie bei so manchem, das zur Umweltsicherung geschieht, gibt es auch bei der Flächenstillegung negative Aspekte, so sehr sie grundsätzlich zu begrüßen ist.

Es konnte zwar erreicht werden, daß das Mähen auf einen späteren Zeitpunkt als ursprünglich festgelegt hinausgeschoben worden ist. Das bedeutet andererseits aber auch, daß zu diesem späteren Zeitpunkt ein wesentlich stärkerer Samenflug hingenommen werden muß und dies wiederum führt in der Konsequenz dazu, daß die Landwirte mehr spritzen und mehr Chemie auf die Flächen gelangt.

Abhilfe kann hier nur geschaffen werden, wenn die Stillegungs-Flächen möglichst groß sind, denn nur dann können sie auf Dauer zu naturnahen Räumen werden, wie die Kleinlebewelt sie braucht, besonders die hochgefährdeten Schmetterlinge.

Apollofalter Schmetterling

Jüngste Vorschläge plädieren dafür, von den heutigen Methoden in der Landwirtschaft abzugehen, bei denen Brachflächen wie Inseln in den Monokultur-Flächen wirken und sowohl den Vogel-Bodenbrütern als auch den Insekten nur wenig geeigneten Lebensraum bieten. Statt dessen sollte der Landwirt bei größeren Ackereinheiten in jedem Feld etwa alle 30 bis 50 Meter Längsstreifen von jeweils zehn Metern aus der Bewirtschaftung herausnehmen. Auf diese Weise könnte die so dringend nötige Landschaftsvernetzung erreicht werden.

Im Nationalbericht der Bundesregierung für die UN-Umweltkonferenz 1992 in Rio wird als Beispiel für die dann auch zustande gekommene Konvention über die biologische Vielfalt in Wort und Bild ein Schmetterling genannt: der Apollo- Falter, den drei Jahre später die SCHUTZGEMEINSCHAFT zum Tier des Jahres 1995 kürte. Schmetterlinge sind eine ganz besonders existenzgefährdete Tierfamilie. Wenn in Europa für ein Exemplar des Gestreiften Apollo über 30 000 DM und in den USA 100 000 Dollar für einen australischen Vogelfalter geboten werden, wenn 20 000 Taiwanesen alljährlich durch Fang und Zucht eine Schmetterlings-Jahres-„Produktion“ im Wert von über 30 Millionen DM erzielen und die weltweite Falter-Handels- und -verarbeitungsbranche einen Jahresumsatz von geschätzten 100 Millionen Dollar erreicht, dann wird klar, in welcher Gefahr die farbenprächtigen Flieger sind.

Sie werden nach Schätzungen zu Hunderten von Millionen Exemplaren in jedem Jahr „verarbeitet“: zu Wanddekorationen, Kaffee-Untersetzern, Schmuck, Lesezeichen, ja sogar als Verzierung von Klosettbrillen. Besonders schlimm ist, daß vielfach auch Päckchen mit „Gemischten Schmetterlingen“ verkauft werden – so wie bunte Mischungen von Briefmarken, auch im Preis annähernd gleich.

Zu all diesen bedrohlichen Einflüssen kommt noch ein stark ansteigender Schmuggel besonders gefährdeter Arten hinzu. Nur ein Beispiel von vielen ist der Fall eines Deutschen und eines Niederländers, bei denen die Polizei in Spanien tausend schon präparierte Falter seltener Arten entdeckte. Und die Zollfahndung Düsseldorf erklärte, daß es gelungen sei, einem offensichtlich bundesweit agierenden illegalen Handel und Tausch mit geschützten Schmetterlingen auf die Spur zu kommen: vorbei am Washingtoner Abkommen und Bundesnaturschutzgesetz mit Bundesartenschutzverordnung.

Es kann also nicht verwundern, daß die zoologische Ordnung der Schmetterlinge in den Roten Listen mit erschreckenden Zahlen auftaucht. Von 1300 Arten Groß-Schmetterlingen in Deutschland gelten 507 bereits als gefährdet, 27 Arten sind ausgestorben. In Europa, so wurde jüngst im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft die Anfrage eines Abgeordneten beantwortet, stehen 15 Falterarten „wahrscheinlich kurz vor dem Aussterben“. Bei alledem muß bedacht werden, daß die Tagschmetterlinge, von denen hier die Rede ist, nur etwa den zehnten Teil der Artenzahl ausmachen. Wie es um die viel größere Zahl von Nachtfaltern bestellt ist, weiß die Forschung nicht so genau.

Der Hauptgrund für das Verschwinden von Insektenarten und das Abnehmen ihrer Populationen ist die Zerstörung ihrer Lebensräume“. Diese lapidare Aussage der EU-Kommission trifft den Kern der Existenzbedrohung besonders der Schmetterlinge. Ende des 2. Weltkrieges gab es in Deutschland noch weithin blumenreiche Wiesen mit einer Fülle von Pflanzenarten, Nahrungsgrundlage für zahlreiche Falter. Heute ist es schwer, einen Platz zu finden, auf dem mehr als drei, vier Arten Schmetterlinge flattern.

Auf den Feldern fehlen die Ackerunkräuter, auf den Wiesen gibt es keine Vielfalt von Blüten mehr. Das Gelb der Wiesen im Frühjahr wird vom Löwenzahn bestimmt, die Gräser und Kräuter der Fettwiesen enthalten zuviel Stickstoff – nur auf den Magerwiesen, von denen es nicht genügend gibt, sind die Pflanzen und damit auch die Falter an Arten zahlreicher. Allzu viele Pflanzen werden aus Unachtsamkeit oder Profitgier vernichtet, ohne daß daran gedacht wird, wievielen kleinen Lebewesen damit die Nahrung genommen wird. Die vielgeschmähte Brennessel ist Raupennahrung für nicht weniger als 25 Schmetterlingsarten. Von Kratzdistel, Stacheldistel und Nickender Distel leben der Kleine Fuchs, das Tagpfauenauge, Distelfalter und Admiral und das weithin verschwindende Landkärtchen.

Die „Unkraut“-Jäger sollten bedenken, daß auf dem Wegerich, der sich an gepflasterten Einfahrten zeigt, die Raupen von 48 Falterarten existieren können – beim Löwenzahn sind es 41. Auch an Mauern, Weg- und Straßenrändern, an vielen Ecken und Ritzen, an denen „Unkraut“ hervorsprießt, kann diese Begrünung durchaus artenreich sein: Futter für Vögel, Käfer und nicht zuletzt Schmetterlinge.

Bei all den negativen Einflüssen, denen die Kleinlebewelt ausgesetzt ist, gibt es aber auf der anderen Seite glücklicherweise immer mehr Bemühungen, den Schmetterlingen zu helfen. Schon in den 60er Jahren begann die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD mit ihrem Projekt „Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Tagschmetterlinge“, dem sich später ein Projekt zur Wiederansiedlung einer sehr bedrohten Art, des Trauermantels, anschloß. Auch die größte private Natur- und Umweltorganisation der Welt mit staatlicher Beteiligung, die „Internationale Union zur Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen“ (IUCN), kümmert sich um die Falter und hat eine Schmetterlings-Spezialisten-Gruppe eingesetzt, die bereits einen Aktionsplan für eine besonders bedrohte Art, den Schwalbenschwanz, startete. Überdies sorgen in Deutschland auch staatliche Stellen für die Erhaltung dieser Insekten-Ordnung.

So rief im letzten Winter die Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten in Nordrhein-Westfalen dazu auf, Unterschlupfmöglichkeiten für Schmetterlinge zu schaffen, die – wie beispielsweise der Kleine Fuchs, Zitronenfalter und Trauermantel – als vollentwickelte Tiere in der kalten Jahreszeit bei uns überwintern. Und jüngste Initiative der SCHUTZGEMEINSCHAFT ist die Benennung des Apollo-Falters zum „Tier des Jahres 1995“.

Parnassius apollo

Parnassius apollo verdankt seinen Namen dem griechischen Parnaß-Gebirge und dem Gott Apollo. Er ist in allen europäischen Gebirgsregionen noch vertreten, aber lediglich in inselartigen Kolonien. Ein Beispiel ist Baden-Württemberg, wo Apollo 1982 noch „mit den größten Kolonien“ der Bundesrepublik vertreten war – zu diesem Zeitpunkt mit 60 Fundstellen. Heute gibt es im Schwarzwald nur noch einen Biotop mit dieser Schmetterlingsart, im bekannten Höllental, doch selbst hier fliegt nur noch ein einziges Exemplar – falls es noch fliegt. Angesichts dieser Bedrohung, die in anderen Regionen ähnlich ist, mutet es makaber an, wenn Insektenforscher nicht einmal genau wissen, ob Apollo möglicherweise asiatischen Ursprungs ist, und wenn sie sagen, daß seine Evolution „noch manche dunklen Stellen aufweist“.

Der Falter mit den zwei roten, schwarz umrandeten Augenflecken auf den Hinterflügeln ist eine sehr variable Art, es sind zahlreiche verschiedene Formen bekannt. Nahrungspflanzen der samtartigen, schwarzen Raupe mit rötlichen Flecken sind die Weiße und die Große Fetthenne, der Schmetterling saugt vor allem an Blüten von Disteln und Skabiosen, Distelblüten sind auch sein Nachtquartier. Gelegentlich finden sich hier mehrere Apollos zu „Schlafgemeinschaften“ zusammen. Lebensraum der Falter sind vor allem sonnige, trockene Orte mit magerem und steinigem Grund im Berggebiet, auch in der subalpinen Zone. Wo es in diesen Bereichen blütenreiche sonnige Wiesen, Hänge, Böschungen, Felskuppen und Wegränder gibt, ist der Apollo zuhause, und hier bleibt er auch, denn er ist ein sehr standorttreues Tier.

Schon immer interessierten Menschen mit einem Sinn für Tiere sich gerade für den Apollo – leider auch im negativen Sinne. Bereits Alfred Brehm klagte vor über hundert Jahren, daß der Apollo in Schlesien nun ganz ausgerottet worden sei „durch die unvernünftige Habgier der Sammler“. Heute sind die Gefahren nicht geringer geworden, im Gegenteil. Es muß also viel getan werden, um den Apollo, seine Unterart Alpenapollo und auch den Schwarzen Apollo, der nur noch mit ein paar Dutzend Exemplaren in Ostdeutschland vorkommt, zu erhalten. Die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD setzt sich deshalb dafür ein, die Umweltschädigung der Bergräume noch mehr als bisher zu verringern und den Lebensraum dieses Falters zu schützen, der schon seit 1936 in Deutschland unter Naturschutz steht und die einzige nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen weltweit geschützte nicht-tropische Schmetterlingsart ist.

Jana Brinkmann-Werner
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