Der Fischotter

FischotterZum Tier des Jahres 1999 hat die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD (Organisation zur Erhaltung der freilebenden Tierwelt) den Fischotter gewählt. Damit ist als letztes Jahres-Tier dieses Jahrtausends auf eine Tierart aufmerksam gemacht worden, die wie kaum eine andere unter den Säugetieren – ausgenommen Wolf und Luchs – jahrhundertelang verfolgt und bis an den Rand der Ausrottung gebracht wurde. Die SCHUTZGEMEINSCHAFT setzt damit ein Zeichen für die Notwendigkeit des Umdenkens beim Umgang des Menschen mit dem Wildtier und seinem Lebensraum – ein Prozeß, der schon begonnen hat, den es aber noch zu verstärken gilt.

Fischotter

Der Otter ist besonders in Deutschland hochgradig bedroht. Er wird in der Roten Liste der gefährdeten Tiere Deutschlands in der höchsten Kategorie „Vom Aussterben bedroht“ geführt. In den Bundesländern Hessen, Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen ist er bereits verschwunden. Die Existenzfrage für den Otter ist sein Lebensraum. Er wird immer enger. Optimale Lebensbedingungen findet der Wassermarder noch in der Lausitzer Teichlandschaft, in der es zusammenhängende, mehr oder weniger naturnahe Uferlandschaften gibt.

Weil dies so ist, hat die Zahl der Otter sich hierzulande stetig verringert. Heute sind es nur noch etwa 700 Exemplare, die ihr heimliches Leben in deutschen Gewässern führen. Die weitaus größte Zahl, rund 500, ist in den Regionen östlich der Elbe zuhause. In den bayerischen Gebirgsbächen kommt noch ein Restbestand an Ottern vor, vereinzelte Exemplare auch in Baden-Württemberg, wie die SCHUTZGEMEINSCHAFT aufgrund von Anrufen feststellen konnte, die sie aus diesem Raum nach Bekanntwerden des Otters als Tier 1999 erreichten. Wie es um diese Tierart bestellt ist, ergibt sich deutlich aus der Feststellung des Bundesamtes für Naturschutz in Bonn: „Dennoch sind in den kommenden Jahren starke Bestandseinbrüche zu befürchten“. Es sind zahlreiche Faktoren, die in immer steigender Zahl die Otter-Biotope beeinträchtigt oder gar zerstört haben. Begradigungen von Bachläufen, Wasserspiegelsenkungen, Uferbefestigungen, doch auch agrarische Nutzung sowie Störungen durch Angelsport und Ausweisung von Erholungsgebieten sind wesentliche Ursachen für den Rückgang der Otterbestände. Vor allem aber ist es die Wasserverschmutzung, die den weitgehend im nassen Element lebenden Tieren das Dasein schwer macht. All dies waren die Gründe dafür, dass die Zahl der Otter in deutschen Gewässern im Jahr 1965 auf nur noch 200 Exemplare zusammengeschrumpft war. Noch im letzten Jahrhundert wurde den Ottern in oft grausamer Weise nachgestellt. Speziell ausgebildete Otterhunde hetzten sie, bis sie in die Enge getrieben waren und vom menschlichen Verfolger mit dem Dreizack erstochen wurden, In Westfalen rühmten sich zwei Brüder, auf diese Weise über 1700 Otter erlegt zu haben. Als Argument für solche Verfolgungsjagden diente meist, dass der Otter ein schlimmer Fischräuber sei, der ganze Bäche leerfische. Natürlich erbeutet er Fische, sie sind seine Lieblingsspeise. 66 Prozent seiner Nahrung sind, wie „Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen“ durch Untersuchungen herausgefunden hat, Fische. Doch er verzehrt auch Mäuse, Ratten und vor allem Bisamratten, auf deren Konto nicht selten Einbrüche von Dämmen, Straßen und Wegen gehen, weil die großen Nager Uferbefestigungen unterhöhlen.
Lutra lutra, wie die wissenschaftliche Bezeichnung des Otters lautet, war durch seine Lehensweise für den Menschen seit altersher ein geheimnisvolles Tier. „An dem Fischotter ist alles merkwürdig“, stellte schon Alfred Brehm fest, „sein Leben und Treiben im Wasser, seine Bewegungen, sein Nahrungserwerb und seine geistigen Fähigkeiten“. Die alten Griechen und Römer glaubten, dass der Otter selbst Menschen anfalle und, „wenn er ihn mit seinem fürchterlichen Gebiß erfaßt hat, nicht eher losläßt, als bis er das Krachen der zermalmten Knochen vernimmt“. Welch ein Gegensatz dazu, was in Grzimeks Tierleben über den Otter gesagt wird: „Kein Raubtier unserer heimischen Fauna läßt sich so vollkommen zähmen und wird ein so liebevoller und anschmiegsamer Hausgenosse“.
Wenn nur wenige Menschen den Fischotter in freier Wildbahn je gesehen haben, dann vor allem deswegen, weil er ein nächtlich jagendes Tier ist. Überdies ist er im Wasser unglaublich behende und ein hervorragender schneller Schwimmer, der bis zu acht Minuten unter Wasser bleiben kann. Ebenso ungewöhnlich ist seine Wanderlust. Da er im Gegensatz zum Biber ein Raubtier ist und tierische Nahrung braucht, legt er nicht selten weite Strecken zurück: bis zu 70 km. Dies ist auch der Grund, warum unverhältnismäßig viele Otter Opfer des Straßenverkehrs werden.

In jüngster Zeit sind mehrfach Maßnahmen gestartet worden, um Fischottern sichere Durchlässe im Bereich stark befahrener Straßen zu bauen. Mittel hierfür stellte auch die Schutzgemeinschaft Wasser + Leben zur Verfügung, deren Emblem der Otter ist. Selbst Gebirge sind für den Otter kein Hindernis. Im Altai überqueren Fischotter sogar hohe Berge, um von einem Fluß zum anderen zu gelangen.

Otter-Biotope sind nicht zu flache Bäche oder Flüsse mit bewaldeten Ufern, Seen und Überschwemmungsgebiete mit möglichst großen Rohrdickichten, auch Niederungen mit Teichen – je stiller, desto besser. Schon dies läßt erkennen, daß es von solchen Lebensräumen nicht mehr allzu viele gibt. Um die Jahrhundertwende war das noch weitgehend anders, damals kamen noch an die hunderttausend Otter in Deutschland vor.

Die „Wohnung“ des Otters ist meist ein selbstgegrabener Bau in einer Uferböschung mit einem Einschlupf etwa einen halben Meter unter der Wasseroberfläche. Ein Gang führt zum Wohnkessel; von ihm geht es durch einen Luftschacht an die Erdoberfläche. Auch Fuchs- und Dachsbaue werden, wenn sie günstig gelegen sind, gerne angenommen. Als Otter mit Sendern ausgerüstet wurden, um ihre Lebensgewohnheiten besser kennenzulernen, stellte sich zur Überraschung der Forscher heraus, daß vier von fünf Tieren ihre Wohnlager täglich wechseln und bis zu drei Unterschlupfe pro Nacht aufsuchen. Mehrere der ruhelosen Wanderer, die an einem Flußlauf von 40 km Länge beobachtet wurden, hatten fast auf jedem Kilometer eine Unterkunft, wobei die Otterweibchen an die Qualität solcher Zweit-, Dritt- und Mehrfachwohnungen höhere Ansprüche stellten als die Männchen.

Die Bemühungen, den Otter als eine der seltensten deutschen Tierarten zu erhalten, sind schon Jahrzehnte alt. Auch die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD hatte sich frühzeitig eingeschaltet und war dabei, als sich 1983 hundert Otter-Experten aus 24 Staaten in Straßburg auf Einladung der Internationalen Union zur Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen (IUCN) zu einem internationalen Kolloquium trafen. Und sie klärte die Öffentlichkeit darüber auf, wie sehr Fischotter eine Leitfunktion für die übrigen Elemente der Lebensgemeinschaft am und im Wasser haben: Wo es ihn gibt, ist die Umwelt in Ordnung. Dem Europarat war die bedrohliche Situation dieser Tierart Anlass, in seinen Mitteilungen eine „Wunschliste“ zum Schutz des Otters in einigen Mitgliedstaaten zusammenzustellen. Wichtige Punkte darin sind etwa: Erstellung von Inventaren über den biologischen Zustand der Fließgewässer – keine weiteren Begradigungen der Gewässer – regulierte Gerinne zu renaturieren – Bewahrung und Wiederherstellung eines natürlichen Uferbewuchses – Steuerung und Begrenzung des Erholungsverkehrs, vor allem in noch naturnahen Fluss- und Auenlandschaften.

Das sind Forderungen, die nach wie vor gelten. Immer wieder müssen sich die IUCN-Fachleute der „Otter Specialist Group“ mit ihrem Verlangen an Politiker und Behörden wenden, die Existenzgrundlagen zur Erhaltung des Otters auf dem Kontinent zu sichern und auch die nötigen Finanzmittel bereitzustellen. Genauso berechtigt ist ihre Kritik, dass von nationalen und Europa – Behörden häufig große Summen für Projekte aufgewendet werden, die zur Zerstörung von Otter-Biotopen führen, während andererseits Schutzmaßnahmen überwiegend aus Spendenmitteln privater Naturorganisationen, etwa der SCHUTZGEMEINSCHAFT, betrieben werden müssen.

Noch ist es nicht zu spät für Hilfsmaßnahmen zur Erhaltung des Otters auch in Deutschland, doch seine Existenzsituation ist sehr kritisch. Jeder kann mithelfen, dass das Tier mit den ungewöhnlichen Lebensgewohnheiten weiter unter uns leben kann. Jede noch so kleine Spende hilft dem wichtigen Bioindikator Otter, dem Tier des Jahres 1999.

Jana Brinkmann-Werner
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